Die Schülerzeitung des Valentin-Heider-Gymnasiums

Wie Lindau zu seinem Kloster kam

Ein Auszug aus den Memoiren des Grafen Adalbert von Rätien

Wir schreiben einen Sommermittag im Jahre 812:

Die Fischer, welche am Morgen zurück an Land gekommen waren, hatten mich, Graf Adalbert von Rätien, vorgewarnt, dass der Horizont stark danach aussehe, als könne das kommende Wetter sehr unbeständig sein. Dennoch wollte ich mir die optimalen Bedingungen für eine Seeüberquerung nicht entgehen lassen und obendrein hatte ich mich bereits mit dem Grafen von Arguna [dem heutigen Langenargen] auf ein baldiges Treffen in seiner Residenz geeinigt. 

Daher ließ ich mich nach Arbon, dem östlichsten Städtlein unseres Kantons, kutschieren und stach mit meiner Ein-Mann-Jolle in See. Von dort aus segelte ich zunächst in Richtung der anderen Seite des Bodensees, dort wo ich mein Ziel vermutete. 

Es herrschte ein ideales Lüftchen, sodass ich während der gesamten Fahrt nie wirklich an Tempo verlor und schon nach kurzer Zeit viele Details am anderen Ufer erahnen konnte. Aus diesem Grund vernachlässigte ich den Blick über meine Schulter, weshalb ich erst viel zu spät auf die dunklen Wolken, welche über den See wanderten, aufmerksam wurde. 

Und wie es am Bodensee nun mal oft der Fall ist, brach das Unwetter in Minutenschnelle über mich herein. Platzregen, starke Böen und Flugwasser peinigten mich. Weitersegeln wäre sinnlos gewesen und zum Umkehren war es bereits zu spät. Ich befand mich mitten auf dem See im Zentrum eines berüchtigten Sommergewitters…

Mit aller Kraft stemmte ich mich gegen den Wind, holte das Segel ein und probierte, den Mast aufrecht zu halten. Ich musste alles in meiner Kraft Stehende versuchen, um zu vermeiden, dass das Boot kenterte, denn dann wäre die Chance meiner Rückkehr schwindend gering. Mit jeder Minute, welche mir inzwischen wie Stunden vorkamen, wurde der Regen dichter, der Wind stärker und die Wellen höher. 

Eine Orkanböe machte mir schlussendlich einen Strich durch die Rechnung und riss so stark an meinem Mast, dass er in der Mitte durchbrach, als wäre er durchgesägt worden. Dies trübte meine Hoffnung auf eine baldige Wiederkehr nach Arbon gewaltig, doch ich gab noch nicht auf, schließlich hatte ich für den Notfall noch immer ein Ruder mit an Bord, mit welchem ich ab diesem Zeitpunkt versuchte, gegen den Sturm anzukommen – jedoch vergeblich…

Und als wäre dies nicht schon alles schrecklich genug, musste ich wohl mit dem Schwert meiner Jolle ein gewaltiges Stück Treibholz getroffen haben, woraufhin mein gesamtes Boot zu beben begann und ich das Gleichgewicht verlor. Mit aller Mühe probierte ich, mich zu stabilisieren, doch die Mühen waren nicht ausreichend, weshalb ich rückwärts, mit dem Kopf voraus über die Reling fiel. 

Für einige Sekunden sah ich mein Leben an mir vorbeiziehen! Ich befand mich einige Meter unter der Wasseroberfläche und wurde von den Wellen hin und her geworfen. Noch nie in meinem Leben hatte ich so viel Wasser geschluckt. Mir wurde langsam schwarz vor Augen, doch ich wehrte mich mit all meiner Willenskraft dagegen, ohnmächtig zu werden, auch wenn inzwischen mein gesamter Körper schmerzte.

Mit verzweifelten Schlägen schaffte ich es wieder nach oben und sah, dass sich mein Boot gedreht hatte und nun mit der Unterseite nach oben auf dem Wasser schwamm. Da wir beide in dieselbe Richtung getrieben wurden, konnte ich meiner Jolle entgegenschwimmen und mich an ihr festhalten. Ich probierte verzweifelt, sie zu drehen, was mir allerdings misslang. Um nicht unterzugehen, kletterte ich auf den Rumpf meines Schiffes und legte mich dort nieder. Und ich blieb liegen, in der Hoffnung, dass das Unwetter bald vorbei sein würde. Doch es ging nicht vorbei und mit jeder Minute schmerzten meine Hände, mit denen ich mich festklammerte, mehr und mehr und mein Kopf dröhnte. Aus Minuten wurden Stunden und schlussendlich stand ich am Rand der Verzweiflung, weshalb ich anfing zu beten:

Herr im Himmel, sieh, in welch Situation ich geraten bin! Ich bitte dich – führe mich heil ans sichere Ufer!“  Meine Stimme brach. Ich zitterte vor Kälte und fing an in Tränen auszubrechen, doch ich wollte das Gebet unbedingt noch beenden:

Wenn du mich erhörst, schwöre ich hoch und heilig, dass ich dort, wo ich anlande, ein Kloster zu deinen Ehren erbauen werde, ganz nach Vorbild des Damenstifts meines Vaters in Schänis! Steh zu mir, mein Gott! Amen.

Ich wusste nicht, ob ich mit dem Versprechen leichtsinnig oder genau richtig gehandelt hatte, doch anfangs schien auch das Gebet nicht zu helfen. Der Himmel war noch immer düster und auch in weiter Entfernung war kein Lichtblick zu sehen. Ich begann die Hoffnung aufzugeben und bemerkte, dass ich langsam müde wurde und obwohl ich gegen die Müdigkeit ankämpfte, da ich wusste, dass Schlaf mir in dieser Situation das Leben kosten könnte, besiegte sie mich und ich schlief erschöpft ein…

Das Nächste, woran ich mich erinnere, ist, wie ich im farbenfrohen Licht der untergehenden Sonne, im seichten Gewässer lag und den, von leichten Wellen bewegten Steinchen beim Hin-und-her-Rollen zuhörte. 

„Ich bin nicht tot!“, war das Erste, was mir durch den Kopf schoss. Ich richtete mich auf und sah umher. Ich kannte diesen Ort nicht. 

Ich befand mich an einer kleinen Einbuchtung, einem Kiesstrand, von dem aus Treppen auf eine Art Schanze führten.

Ich folgte dem Weg und hatte von der Erhöhung aus eine optimale Aussicht auf die Umgebung. Ich war auf einer kleinen Insel gelandet, welche nur spärliche Bebauung aufwies und deren Landschaft von zig Lindenbäumen geprägt war. Während ich meinen Blick durch die Ferne schweifen ließ, realisierte ich erst, wie viel Glück ich gehabt hatte. Ich brach erneut in Tränen aus. Dieses Mal allerdings vor Freude und Überwältigung. 

Ich fiel auf die Knie, dankte Gott für sein Wohlwollen und bestätigte, dass ich direkt nach meiner Rückkehr in den Kanton Thurgau, den Bau eines Klosters und die Gründung eines Damenstifts, in Auftrag geben werde.  

Nun, einige Jahre später, während ich diese Erinnerung zu Papier bringe, steht das Kloster bereits und das kleine Städtchen auf der Insel hat einen Namen bekommen: Lindau

Marc Boye, Q12