Die Schülerzeitung des Valentin-Heider-Gymnasiums

Schiffbruch

Lindau, den 14.10.1887

Hallo Helene,

Wie waren die ersten Tage in der vierten Klasse? 

Ich habe mich sehr über deinen letzten Brief gefreut, den du mir geschickt hattest. Mein Wochenende allerdings war nicht so erfreulich…

Eigentlich hätte es ganz schön werden sollen, denn ich bin mit meinen Eltern, die in ihre Alte Heimat zurück wollten, mit der „Stadt Lindau“ am 08.10. von Rorschach nach Lindau gefahren. Es war eine sehr beachtliche Fahrt, denn der Bodensee hat eine schöne Landschaft. Eigentlich wollte ich gar nicht mit, da ich schnell seekrank werde und Schiffen nicht wirklich vertraue und nun weiß ich auch, wieso. 

Wir fuhren also nach Lindau und irgendwann wurde es dunkler. Der Kapitän, ich glaube, er hieß Christian Häberlin, erklärte uns, dass man beim Manövrieren in dem Gebiet um die Lindauer Hafeneinfahrt wegen vieler Untiefen sehr vorsichtig sein muss. Sie werden „oberer und unterer Berg“ genannt. Da wir unser Ziel erst nach acht Uhr Abends erreichen sollten, war es schon dunkel und man musste noch vorsichtiger sein. Als wir uns dem Land näherten, fing ich an, die tanzenden Lichter der Stadt auf dem Wasser zu beobachten. Es war sehr bewundernswert und den ganzen Tag über verstand ich immer mehr, wieso Menschen die Schifffahrt so gerne hatten, meine Seekrankheit hatte sich zum Glück in Grenzen gehalten und ich hatte etwas Spaß gefunden.

Doch plötzlich merkte ich, wie immer mehr Menschen auf das Deck kamen und erst dachte ich, dass es an dem fast magischen Glanzes Lindaus liegen würde. Allerdings fingen sie an, immer unruhiger zu werden und ich hörte sie murmeln. Da kam meine Mutter zu mir gerannt und nahm mich mit zu meinem Vater. Ich fragte, was denn nun los sei, und sie erzählten mir, dass aus dem Hafen ein Schiff kam, welches einige Minuten Verspätung hatte und dass ich bei ihnen bleiben solle. Es war der Dampfer „Habsburg“.

Ich beobachtete nun auch, wie alle anderen, die Lichtpunkte, welche immer größer wurden. Wir hatten unseren Wendepunkt nach Links planmäßig, allerdings hatte das andere Schiff zu früh gedreht und nun fuhren beide Dampfer aufeinander zu. Trotz lauter Rufe der Passagiere und der Mannschaft unseres Schiffes, passierte nichts.

Die „Habsburg“ fuhr immer weiter auf uns zu. Das war der Moment, als allen Beteiligten klar wurde, dass ein Zusammenstoß unvermeidbar war, und selbst alle Bemühungen des bayrischen Kapitäns, die „Stadt Lindau“ zum Stehen zu bringen, umsonst waren. Der Dampfer traf uns zwischen Mast und Radkasten, zertrümmerte die vordere Kajüte und den Treppenaufgang und rammte sich drei Meter in das Schiff. Ich hatte Angst zu sterben und bewegte mich garnicht mehr in der Hoffnung, das gleich alles vorbei sein wird oder ich bald aus einem Traum aufwachen würde. Ich klammerte mich an meine Eltern und bemerkte, dass auch sie weinten. 

Nach ein paar Sekunden des Schreckens, in denen für mich die Welt einen Moment stillstand, mussten wir uns beeilen, auf das Deck der „Habsburg“ zu klettern. Die Crew und acht weitere Passagiere konnten sich retten, darunter auch ich und meine Familie. Ich war erleichtert und atmete tief durch.

Einer der anderen Passagiere wurde von gewaltigen Wassermassen von Deck gespühlt, konnte allerdings von der Besatzung des zur Hilfe geeilten Schiffs „Ludwig“ gerettet werden. Zwei weitere Passagiere konnten noch am selben Abend als Leichen aus dem Wasser gezogen werden, eine dritte wurde am nächsten Morgen auf dem Wrack der gesunkenen „Stadt Lindau“ geborgen. Unzählig viele Tränen liefen mir den ganzen Abend über die Wangen, da ich so froh war, dass meine Familie und ich es geschafft hatten und weil es mir für die Opfer und deren Familien leidtat. 

Wir wurden danach alle ins Krankenhaus gebracht, um untersucht zu werden, jedoch waren alle bis auf ein paar Schürfwunden und Prellungen wohlauf. Ich selbst habe nur ein paar kleine Kratzer an meinem Handgelenk und ein paar blaue Flecken an Ellenbogen und Knie. Meinen Eltern ergeht es ähnlich. 

Ich hoffe, der Kapitän bekommt seine gerechte Strafe für die drei Toten und den Schaden von mehr als 76.000 Mark, welcher durch den Zusammenstoß beider Schiffe und die Bergung der „Stadt Lindau“ entstanden ist. Außerdem wurde berichtet, dass Mercandin dafür bekannt war, Linien nicht so zu fahren, wie sie zur Sicherheit aller Beteiligten vorgegeben waren, weswegen er erst ein paar Tage vorher wieder einen Dampfer anvertraut bekommen hatte. 

Ich hoffe, dass dies das letzte Schiff war, welches wegen Unzuverlässigkeit und Verantwortungslosigkeit sank und Opfer forderte. 

Dein Josef

Juliana Garofalo, Q12