Die Schülerzeitung des Valentin-Heider-Gymnasiums

Interview mit einem Studenten aus Timisoara

Moritz Lange ist einer der vielen jungen Studenten aus Deutschland, die in Timişoara studieren. Er ist ehemaliger Schüler unserer Schule und gab unserem Seminarkurs für dieses Projekt ein Interview, in welchem er Fragen zu der Stadt und seinem Alltag dort beantwortet.

Wie sieht dein Alltag als Student in Timişoara aus?

Er ist sehr geprägt von der Uni, welche auf Englisch ist. Man hat weniger Uni als Schule, würde ich sagen, was angenehm ist. In Timişoara gibt es viele Möglichkeiten rauszugehen, in Cafés oder Bars sowie Parks, das heißt das Freizeitangebot ist wirklich groß. Meist ist man bis mittags in der Uni und danach geht man raus. Das Wetter ist oft gut und das Leben mehr so von einem südländischen Lebensstil geprägt. Dadurch dass Timişoara eher eine Studentenstadt ist, ist man eh so in einer „Bubble“ von Mitstudent*innen, das sorgt für einen guten Ausgleich zwischen Uni und Freizeit.

Wie ist es mit kultureller Vielfalt in Timişoara?

Die ist hauptsächlich geprägt durch die Universitäten, da diese alle internationale Universitäten sind. Viele Studenten sind aus Deutschland, aber auch aus Italien und Griechenland und natürlich Rumänien. Ein paar sind auch aus Schweden und England. Timişoara ist durch die Studenten eine sehr junge Stadt, das heißt, wenn man in die Stadt geht, trifft man automatisch auf diese jungen Menschen verschiedener Kulturen. Das wirkt sich auch auf die Kultur in Timişoara aus, sei es Restaurants oder Museen. Es ist einfach sehr studentenorientiert, sodass die rumänische Kultur kaum noch eine Rolle spielt.

Wieso hast du dich für Timişoara entschieden?

Vor allem wegen des Numerus Clausus. In Deutschland Medizin studieren zu können, ist sehr schwierig. Deswegen hatte ich mich dann informiert, was im Ausland so möglich ist. Durch Bekannte, die zu der Zeit in Timişoara studiert hatten, und Organisationen, die einem Infos gaben, hatte ich dann irgendwann drei Möglichkeiten. Timişoara hatte ich mir dann angeschaut, die Stadt hat eine gute Anbindung nach Hause [Flugverbindung ins Allgäu] und die Stimmung dort war einfach entspannt, sodass man sich wohlfühlt. Zudem sind auch die Studiengebühren nicht so hoch, wie sie vielleicht woanders sind. Bereuen tue ich es auf jeden Fall nicht.

Welche Vor-/Nachteile hast du im Vergleich zu Deutschland?

Vorteile sind zum einen, dass es günstiger ist, also zum Beispiel der Lebensunterhalt und die Lebensmittel, aber auch das Ausgehen, abends feiern gehen. Zum anderen aber auch, dass man die Möglichkeit überhaupt hat, dort zu studieren. Natürlich aber auch das gute Wetter, da es in Timişoara viele Sonnentage gibt und es auch jetzt im Frühling schon warm ist. Nachteile würde ich sagen, dass man einfach merkt, dass das ganze Land noch nicht so weit ist wie hier. Vieles dauert länger und man muss davon ausgehen, dass Manches nicht beim ersten Mal funktioniert, […]. Die Menschen dort sind auch viel lockerer, das heißt, wenn etwas mal nicht passt, dann wird es einfach akzeptiert. Den Perfektionismus, den wir aus Deutschland kennen, gibt es dort nicht.

Lernt man Rumänisch oder kommt man mit Englisch gut zurecht?

In den ersten zwei Jahren lernt man Rumänisch, aber wirklich lernen tut man es trotzdem nicht, aber man braucht es auch nicht. Dadurch, dass die Stadt sehr jung ist und die Rumänen selbst eine bessere Bildung genießen, kommt man mit Englisch sehr gut durch. In der älteren Gesellschaft ist es noch etwas schwer, aber die Jüngeren können eigentlich alle Englisch und sind auch bemüht, es zu sprechen.

Wenn du nach Rumänien fliegst, fühlt es sich nach Heimat oder Ausland an?

Also in den ersten zwei Jahren hat es sich sehr nach Ausland angefühlt, dass man dort hingeht, um zu lernen. Aber mittlerweile, nach fünf Jahren, fühlt es sich fast wie ein zweites Zuhause an. Man kennt dort dann alles und hat auch seinen Freundeskreis da. Natürlich fliegt man dort zum Studieren hin, aber auch einfach, um sich auszuleben und seine Freunde zu treffen.

Lässt sich Timişoara mit einer deutschen Stadt vergleichen?

Das Stadtzentrum ist ein bisschen so wie die Lindauer Insel, denn es gibt sehr viele kleine Gassen, aber auch größere Plätze und auch von der Größe her, sind sie sich sehr ähnlich. Man kann die Stadt schwer mit größeren Städten vergleichen, weil sie einfach nicht so weitläufig ist.

Ist das Essen dort sehr anders als bei uns?

Nein, es gibt dort fast dasselbe und auch die Supermärkte sind fast gleich. Was aber noch nicht so viel vertreten ist, sind vegetarische oder vegane Produkte.

Interview mit einem Zeitzeugen aus der Ära des Kommunismus

Vergleichend zu der aktuellen Lage in Timişoara wurde außerdem ein Interview mit einem Zeitzeugen geführt, der während der Herrschaft des kommunistischen Regimes in der Stadt lebte. Dort studierte er von 1985 bis 1988 Informatik an der Universität der Stadt. Im Folgenden sind seine Antworten auf die von uns gestellten Fragen dargestellt.

Wie war das Leben während der Zeit des Kommunismus in Rumänien bzw. Temeswar?

Das Leben war sehr hart, was durch die hohen Staatsschulden bedingt war. So verschlechterte sich von Jahr zu Jahr die Versorgungssituation, sodass in vielen Regionen Nahrungsmittelknappheiten herrschten. Um dagegen vorzugehen, führte die Regierung Lebensmittelmarken ein, die den Konsum der Bevölkerung rationieren sollten. Dennoch waren die Regale in den Läden meistens leer und es änderte sich nicht wirklich etwas. Außerdem wurde auch Strom und Benzin stark rationiert. Die Regierung wirkte sich aber auch in vielen anderen Bereichen auf das Leben aus. So war Reisen beispielsweise nur erschwert möglich, trotz der relativ westlichen Orientierung für die damalige Zeit. Auch Proteste, die sich gegen die Regierung richteten, kamen häufig vor, vor allem vermehrt in den letzten Jahren, in denen Ceausescu an der Macht war.

Wie wirkte sich die Politik auf das Studium aus? 

Auf das Studium an sich hatte die Politik nicht besonders viel Einfluss genommen. Generell kann man sagen, dass das Studium für die damalige Zeit relativ fortschrittlich gewesen ist, was wahrscheinlich erneut auf die vergleichsweise liberale Politik zurückzuführen ist. Allerdings fühlten sich die Studenten in ihrem Leben stark eingeschränkt, weshalb sie häufig an Demonstrationen teilnahmen.

War die Stadt damals auch schon so multikulturell geprägt wie heutzutage?

Rumänien war schon immer ein Land mit vielen verschiedenen Kulturen. So siedelten sich bereits im Mittelalter Menschen aus Deutschland an der Donau an, um das Land zu bewirtschaften. Aber auch Einflüsse aus dem Balkan oder slawischen Ländern sind eindeutig bemerkbar, sodass die meisten Städte viele verschiedene Kulturen vorzuweisen haben. Dies äußert sich in der Architektur, dem Essen und diversen Dialekten. Bemerkenswert war außerdem, dass die verschiedenen Bevölkerungsgruppen in Timişoara friedlich miteinander lebten, wohingegen es in anderen Regionen häufig zu Auseinandersetzungen kam. Wie multikulturell die Stadt heutzutage allerdings ist, kann ich leider nicht beurteilen, da ich lange nicht mehr da gewesen bin.

Wie nahmst du die Proteste in der Stadt wahr?

Es kam relativ häufig zu Protesten, die allerdings meistens ausarteten oder gewaltsam beendet wurden, was der Grund ist, weshalb ich nicht an ihnen teilgenommen habe. Die Proteste Ende 1989 habe ich persönlich nicht mehr in Timişoara miterlebt, da ich zu diesem Zeitpunkt bereits in Deutschland war.