Die Schülerzeitung des Valentin-Heider-Gymnasiums

Die Hinrichtung

Die Mittagssonne hatte fast ihren Zenit erreicht und die Hitze war auf dem Marktplatz vor der Stephanskirche beinahe unerträglich geworden. Der Helm, der das Gesicht des Mannes vor den Blicken des schaulustigen Volkes schützen sollte, hielt die Wärme in sich gefangen und mittlerweile lief ihm der Schweiß in die Augen. Wie die sieben Männer neben ihm, hielt er das Schwert in seiner Hand auf den Boden gerichtet. Alle hatten die gleiche Kleidung und Helme an und doch wusste keiner die Namen der anderen.

Freunde und Mitbürger, ich freue mich, dass der heutige Tag endlich gekommen ist und wir die blutige Geschichte unserer Stadt beenden können!

Laut und deutlich schallte die Stimme Schneebergs über den Platz. Sein Selbstbewusstsein hatte sich in den letzten Wochen über alles Vergleichbare gesetzt und man vergaß fast, wie schnell er die Bündler um Hilfe angefleht hatte, als Heinrich Rienolt in die Stadt zurückgekehrt war. Den eigenen Sohn hatte er zum Tor geschickt, um nicht selbst der tödlichen Gefahr ausgesetzt zu sein, die Rienolt mit seinem Gefolge darstellte.

Diese Hochverräter sind schuld an der letzten schrecklichen Zeit voller Tyrannei und Tod. Die Tage, die der Seebund mit seinen sieben Städten im Ungewissen stand, sind vorbei, denn Heinrich Rienolt bekommt endlich das, was er verdient.“ Ein kurzer Zwischenjubel der Menge ließ den Bürgermeister kurz unterbrechen. „Ein Tyrann, der nur ein Handelsbündnis mit den Habsburgern zum eigenen Zweck verfolgte und sich nach dem Erreichen seines Ziels als „König von Lindau“ bezeichnet hat. Sein Sohn Peter Rienolt ermordete den Sohn unseres ehrenhaften Sünfzenmitglieds Rudolf Maiger und als wäre das noch nicht genug, weigerte sich Heinrich Rienolt auch noch, das Urteil anzunehmen. Die darauffolgende Verbannung missachtete er vollkommen und kam zusammen mit seinem Mördersohn zurück in unsere friedvolle Stadt. Dort bewaffnete er sich und sein Gesindel und verschloss das Stadttor, sodass unsere Verbündeten des Seebunds nicht zu Hilfe eilen konnten. Doch am Ende siegt immer die Gerechtigkeit, und so konnte ich mich selbst zum Tor schleichen, die Tür öffnen und damit die Gefangennahme der Rienoltpartei ermöglichen.

Selbstverliebt betrachtete er seine Bürger, die sich vor ihm zur Hinrichtung versammelt hatten. Höfliches Klatschen war die Folge seiner Redenspause. „Danken möchte ich natürlich allen Bündnisstädten und so habe ich es ihnen großzügigerweise erlaubt, ihre Henker nach Lindau zu schicken, um ein Teil der Vernichtung dieser Partei zu sein.

Sein Blick richtete sich auf die sieben Männer, die in einer Reihe neben ihm standen. Vor ihnen kniete jeweils ein Gefangener, die Hände hinter dem Rücken gefesselt und auf dem Kopf einen schäbigen hellbraunen Sack. „Möge die Hinrichtung beginnen!“ Schneeberg hatte deutlich erkennbar einen Hang zur Dramatik. Zusammen mit den sieben anderen ging der Henker Lindaus einen Schritt nach vorne und entfernte den Sack vom Kopf seines Opfers. In einer Reihe knieten Hans Binder, der Berater Rienolts, der Käppler, der ihm schon seit Jahren überall hin folgte und Konrad Brugger, der ihm die wichtigen Informationen besorgt hatte und dafür sogar seine Tochter zur Frau bekommen hatte. Peter und Kunz Brew, die Zwillinge, die alles für ihren Anführer mit Bestechung möglich gemacht hatten und Jakob Guderscher, der Riese, der alle grobschlächtigen Arbeiten erledigte, saßen direkt neben ihnen. Als vorletztes saß da sein bester Freund, Dietmutter, der schon seit Kindertagen an seiner Seite stand und nie das Wort gegen ihn erhoben hatte. Vor dem Lindauer Vollstrecker saß Heinrich Rienolt höchstpersönlich.

Im Gegensatz zu seinem Gefolge starrte er seinen Mitbürgern und ehemaligen Befürwortern geradewegs in die Augen. Voller Verachtung musterte er Schneeberg, was der Henker nur zu gut verstehen konnte, denn der Bürgermeister hatte sich immer hinter Rienolds Rivalen Ulrich Schreiber versteckt. Die kalten blauen Augen, Heinrich Rienolds Hauptmerkmal, zeigten nicht ein Zeichen der Reue oder der Schwäche.

Zum ersten Mal fühlte der Vollstrecker Bedauern bei seiner Arbeit, denn eine solch große Persönlichkeit mit all ihren Eigenschaften zu vernichten war ihm zuwider. In einer fließenden Bewegung hob der Henker zusammen mit den sieben anderen das Schwert über den Kopf. Angstschreie der Verurteilten neben ihm erfüllten die Luft, Rufe der Verzweiflung und Gebete.

Die Zuschauer rührten sich nicht und kein einziger von ihnen erhob die Stimme. Die Herzen der treuen Anhänger Rienolds schlugen so stark, dass sie fast aus ihrem Brustkorb herausbrachen und die Ketten an ihren Händen und Füßen schlugen auf den Stein durch die letzten Befreiungsversuche. Doch nicht ein Laut verließ die Lippen des Hauptangeklagten, als das Schwert auf seinen Hals niederraste und sein wechselhaftes, durchtriebenes Leben beendete. Mit einem dumpfen Geräusch landete sein Haupt in dem dafür vorgesehenen Korb und der zurückgebliebene Leib sank zur Seite auf den Boden nieder. Aus dem Stumpf des Halses lief pulsierend das Blut in die Ritzen der Pflastersteine und benetzte den Boden mit dunkelroter Farbe. Achtlos stiegen die anderen Henker über die sterblichen Überreste hinweg und verließen den blutdurchtränkten Platz. Acht verstümmelte Körper, der zuvor mächtigsten Patrizier Lindaus, blieben zurück und vertrieben durch ihren Anblick sogar die Vögel von den Dächern.

Auch die Menge und der Bürgermeister wandten sich ab und verließen den Platz, denn später würden andere die Leichen entsorgen. Der Vollstrecker ließ seinen Blick noch einmal auf dem toten Körper vor ihm ruhen. Ein Mann, der tyrannisch als Bürgermeister über Lindau entschieden hatte, aber der auch großzügig war und bei dem die Familie immer an erster Stelle gestanden hatte. Von Macht besessen, vom Volke geliebt und von seinen Rivalen gefürchtet. Heinrich Rienolt würde als Legende in die Geschichte Lindaus eingehen. Respektvoll ging er in genügend Abstand um den Toten herum. Ehre, wem Ehre gebührt.

Der Rienolt-Aufstand (1395) ist einer der wenigen blutigen Ereignisse der Geschichte Lindaus. Heinrich Rienolt befürwortete zusammen mit dem Landadel, den Kaufleuten und weiteren Verbündeten eine engere handelspolitische Verbindung zu Habsburg, wohingegen Ulrich Schreiber zusammen mit den Handwerkerzünften für eine Erhaltung des Seebundes war. Schließlich siegte die Rienoltpartei und Heinrich Rienolt wurde Bürgermeister von Lindau. Als sein Sohn Peter einen Angehörigen der Gegenpartei ermordete, wurden die Rienolts aus der Stadt verbannt. Unerlaubt kehrten sie wieder zurück und wurden schließlich zum Tod durch das Schwert verurteilt. Heinrich Rienolt wurde zusammen mit sieben seiner Anhänger vor dem Carvazzen hingerichtet. Ein weißer Steinkreis auf dem Boden erinnert noch heute an die Stelle. Sein Sohn Peter wurde wenig später in Bayern gefasst und ebenfalls zum Tode verurteilt.

Marlene Hecht, Q12