Die Schülerzeitung des Valentin-Heider-Gymnasiums

Die Gräfin

Es ist die helle Sonne, die Lola morgens weckt. Kurz lässt sie den gestrigen Tag, den neunten Februar 1848, in ihrem Kopf Revue passieren.

Nachdem König Ludwig I. die Universität bis zum nächsten Wintersemester schließen wollte, waren die Aufstände größer geworden, sodass dem König unter dem enormen Druck kein anderer Ausweg geblieben war, als sie aus der Stadt zu verweisen. Lediglich eine Stunde hat er ihr dafür gegeben. Eine Stunde, um ihr Hab und Gut zu packen und alles hinter sich zu lassen. Und jetzt ist sie hier, nach einer schnell durchgeführten Flucht, abends in dem kleinen Inselstädtchen Lindau angekommen.

Müde steht sie auf, sucht sich aus ihren noch nicht ausgepackten Koffern etwas zum Anziehen heraus und richtet ihre dunkle Lockenfrisur. Abschließend legt sie sich eine Goldkette um den Hals, ein Geschenk, das ihr der König gemacht hat. Gemeinsam mit ihrer Dogge Turk verlässt Lola das Zimmer.

Im Treppenhaus begegnet sie Friedrich, ihrem engsten Vertrauten. „Oh, Sie sind schon wach, Gräfin? Ich war soeben auf dem Weg zu Ihnen.“ „Die Sonne weckte mich, Friedrich. Ich werde mir mit Turk die Stadt ansehen.“ „So geben sie Acht auf sich. Ihre Ankunft hat sich in Lindau schon herumgesprochen und ich weiß leider nicht, wie die Bürger der Stadt über diese denken.“ „Was die Bürger dieses Städtchens denken, ist für mich von keinem Interesse.“ Mit diesen Worten verabschiedet Lola sich und verlässt das Gästehaus.

Aus ihrem Pelzmantel, ebenfalls ein Geschenk des Königs, zieht sie eine Zigarette und beginnt zu rauchen, während sie in die erste Seitengasse einbiegt. Auf dem Weg Richtung See begegnen ihr einige Menschen, die einen edel, die nächsten weniger edel gekleidet. Alle jedoch bleiben stehen, die meisten machen sogar einen Knicks. „Gräfin von Landsfeld soll sie sein, Geliebte des König Ludwig I.“, „Geflohen ist sie wohl, ich habe von den Aufständen gehört.“, „Ich hörte, sie sei eine spanische Tänzerin, stammend aus einer adligen Familie.“ Sätze wie diese hört Lola, während sie die Menschen passiert. Das Getuschel beeindruckt sie nicht, sie nimmt es kaum wahr. Stattdessen hängt sie ihren eigenen Gedanken nach. München ist nicht die erste Stadt, aus der sie ausgewiesen worden ist. Auch Berlin, Baden-Baden und Warschau sind Städte, in denen Lola sich nicht mehr sehen lassen sollte. Ebenso wie in dem Fürstentum Reuß – Ebersdorf. Nur reut es sie dieses Mal um das schöne Geld. Monatlich hat sie vom König 200 Gulden erhalten, dazu Geschenke wie die Kette aus Gold und den Pelzmantel. Ihr luxuriöser Lebensstil, den ihr König Ludwig in ihrem Münchener Palais ermöglicht hat, ist nun Vergangenheit. Als Lola kurze Zeit später zurück am Gasthaus Krone angelangt ist, kommt ihr erneut Friedrich entgegen. „Ein Brief, ein Brief, der König hat Ihnen einen Brief zukommen lassen“, ruft er. „Der Stadtkommissar persönlich ist hier, um Ihnen diesen zu überreichen.“. „Gräfin von Landsfeld, der König schickte mir dieses Schreiben, mit der Bitte, es Ihnen zu überreichen.“ Mit diesen Worten gibt der Stadtkommissar Lola den Brief. Sie nimmt ihn dankend an und geht in ihr Zimmer, wo sie ihn ungeöffnet auf eine alte Truhe legt. 

Und so vergehen Lolas Tage in Lindau. Täglich geht sie mit Turk in dem Inselstädtchen spazieren. Es ist eine schöne kleine Stadt. Die kühle Luft durchströmt jeden Morgen aufs Neue ihre Lungen und gibt ihr trotz ihrer ungewissen Zukunft ein Gefühl von innerem Frieden. Bei schönem Wetter kann sie bis nach Österreich und in die Schweiz blicken. Die Beständigkeit der Bergketten und des Bodensees lassen sie eine gewisse Zuversicht verspüren. Während sie auf das Eintreffen ihrer noch folgenden Equipage und Dienerschaft wartet, erhält sie zwei weitere Briefe, die ihr der König über den Stadtkommissar zukommen lässt. Ihr Interesse an großen Entschuldigungen, die sie darin vorzufinden meint, ist gering, und so legt sie auch diese ungeöffnet auf die Truhe.

Als sie jedoch an einem Nachmittag von ihrer mittäglichen Mahlzeit auf ihr Zimmer zurückkehrt, fällt ihr Blick auf die Schriftstücke. Ein Gefühl der Neugierde macht sich in ihr breit. Drei Briefe, nur um sich bei einer Geliebten zu entschuldigen. Ob das wirklich alles ist, was der König ihr mitteilen möchte? Lola schaut die drei versiegelten Umschläge mit einem skeptischen Blick an. Ein seltsames, ungutes Gefühl macht sich in ihr breit. Ein Gefühl, das ihr sagt, dass es an der Zeit ist, die Briefe zu lesen. Es ist zu erwarten, dass sich der König entschuldigen möchte. Vielleicht verspricht der König aber auch, ihr weiterhin Geld und Geschenke zukommen zu lassen. Aber was, wenn er ihr etwas Wichtiges mitzuteilen hat? Ob sie vielleicht zurückkehren darf? Wobei, will sie das überhaupt? Auch wenn sie nur seine Geliebte gewesen ist, so hat sie mit dem König doch eine gewisse Freundschaft verbunden.

Und so öffnet Lola den Brief, den sie zuerst erhalten hat. Er enthält jedoch, wie sie es bereits anfänglich vermutet hat, lediglich ein Entschuldigungs-schreiben des Königs. Er beteuert sein Bedauern über ihre Flucht, und bittet sie um Verzeihung. Für ihn sei der Druck seines Volkes zu groß gewesen, er schreibt, dass er Angst vor einem Regierungssturz gehabt habe. Lola überfliegt das Schreiben nur kurz und legt es dann auf die Seite. „Welch armseliger Mann er doch ist“, denkt sie sich. Gleichzeitig bedauert sie es ein wenig, dass der König nicht zu ihr steht. Sie nimmt den zweiten Brief in die Hand, öffnet ihn und überfliegt auch diesen nur kurz. Er ähnelt dem ersten sehr, weswegen Lola ihn gar nicht erst zu Ende liest und auch diesen auf die Seite legt. Die Affäre mit dem König ist vorbei, ein Zurück gibt es nicht. Lola ist es wichtig, sich nun auf die Zukunft konzentrieren. Schmunzelnd schaut sie auf den dritten Brief. Der Stadtkommissar hat ihn ihr vormittags persönlich überreicht. Die Neugierde hat sie verlassen. Trotzdem greift sie auch diesen Brief und bricht vorsichtig das schwarze Siegel, um ihn zu öffnen. Beim Lesen des Briefes werden ihre Augen groß, ihre Hände beginnen zu zittern und ihr Atem geht schlagartig schneller. Fassungslosigkeit und Entsetzen lassen sie erstarren. Nachdem sie den ersten Schock überwunden hat, liest sie die Nachricht des Königs erneut, um sich zu vergewissern, dass sie nichts falsch versteht. 

Eilig steht sie auf und verlässt das Zimmer. Im Gang begegnet sie einem jungen Fräulein, das in dem Gasthaus arbeitet. „Gräfin“, sagt es schüchtern und macht einen Knicks. „Hast du Friedrich gesehen?“, fragt Lola sie. Sie klingt beunruhigt. „Er wollte soeben auf sein Zimmer gehen“, antwortet das junge Mädchen. Ohne ein Danke eilt Lola davon, auf dem Weg zu Friedrich. Sie klopft kurz an seine Tür, bevor sie das Zimmer betritt. „Wir müssen abreisen, so bald wie möglich.“ Friedrich, der gerade an seinem Tisch sitzt, schaut verwundert zu ihr auf: „Warum das?“. „Der König. Der Brief. Der von heute Morgen. Er schreibt, dass man mich verhaften möchte. Die Aufstände in der Stadt München werden größer. Des Diebstahls soll ich angeklagt werden. Das Volk ist der Meinung, dass das Geld, das der König mir über die Jahre geschenkt hat, mir nicht zusteht. Zurückzahlen soll ich jeden einzelnen Gulden.“. „Was möchten Sie tun, Lola?“. „Ich werde das Geld nicht zurückgeben. Wir nehmen uns ein Schiff, morgen früh soll es ablegen. Das Equipage und die Dienerschaft, auf die wir noch warten, kann uns auch an unser nächstes Ziel folgen.“ 

Und somit werden noch am selben Abend die Koffer gepackt und die Abreise vorbereitet. Am Morgen des 24. Februar 1848 geht Lola Montez ein letztes Mal durch das Inselstädtchen Lindau spazieren. Ein letztes Mal lässt sie die kühle morgendliche Luft durch ihre Lungen strömen. Das Dampfboot „Ludwig“ legt pünktlich um 9 Uhr am Lindauer Hafen ab. Mit einem sehnsuchtsvollen Blick auf die Bergketten kehrt das Gefühl von Frieden und Zuversicht zu Lola zurück. Voller Hoffnung beginnt sie ihre Weiterreise, ungewiss, wohin es sie führen wird.

Ronja Krause, Q12